Betreten neuer Territorien

Ich erinnere mich an das erste Mal, als ich im Ausland gelandet bin…alles schien sehr neu und anders, nichts war mir vertraut in dieser neuen Welt. Ich konnte in meinem Körper gleichzeitig eine Mischung aus Aufregung und Angst spüren … Angst davor, was mich erwartet, aber auch eine Aufregung, die meine Neugier und Wünsche erweckte, etwas Neues kennenzulernen.Alle Signale waren in einer anderen Sprache, an die ich nicht gewöhnt war. Alle unterschiedlichen Laute, die ich hörte, einige habe ich verstanden, andere sind durch meine Ohren ohne Sinn durchgegangen. Die Straßenschilder sagten nicht, wohin ich ging. Ich hatte keine Ahnung, wo sich mein neues Zuhause befand. Ich hatte keine Ahnung von vielen Sachen. Hast du schon die Erfahrung gemacht, wie es ist, wenn man nichts kennt und nur den Momenten des Lebens zuschaut, wie sie an einem vorbeiziehen?Das ist es, was ich erlebte, als ich immigrierte zu einem neuen Ort, den ich noch nicht als Zuhause bezeichnen konnte. Alles war noch fremd für mich. Allerdings hatte ich keine Zeit, um über dieses Neue nachzudenken, denn ich musste die ganze Zeit mit diesem Neuen interagieren. 

Ich erinnere mich, als ich die Familie meines Mannes zum ersten Mal traf. Mein Körper hat sich automatisch bewegt, um sie mit einem Küss zu begrüßen. So war ich daran gewöhnt. Aber sie küssten nicht bei der Begrüßung von Fremden. Zu meiner Überraschung küssten sie eigentlich nie bei der Begrüßung. Kannst du dir vorstellen, wie merkwürdig es ist, wenn du jemandem versuchst zu küssen und siehst, dass er seiner Körper wegdreht? Du bleibst für ein paar Sekunden erstarrt, verwirrt… Ohne Zeit nachzudenken wurde ich umarmt, aber ohne Zärtlichkeit. Aber immerhin bekam ich eine Umarmung. Das hat mich irritiert und ich fand es seltsam. Ich habe es nicht geschafft, mich zu zeigen, wie ich eigentlich bin. In einer bestimmten Art fühlte ich mich nicht frei um zu sein und zu handeln, so wie ich bin. Das war nicht ich, zumindest, kannte ich nicht diese Version der Begrüßung. An diesem neuen Ort, wurde es nicht erwartet, dass ich bei der Begrüßung die Leute küsste, nicht bei der ersten Begegnung. Meine Küsse bedeuten Intimität. In meiner Kultur war das ganz normal. Dort bedeutet Küssen keine Intimität. Beim Küssen wird ausgedrückt, „es ist mir ein Vergnügen, dich kennenzulernen“. Jemanden mit einer Zärtlichkeit kennenzulernen, warum nicht?

Mit der Zeit lernte ich die Regeln des neuen fremden Ortes. Nicht immer war ich erfolgreich, da meine Idee über mich und wie ich mich verhalten sollte, von meinem kulturellen Hintergrund gelenkt wurde. Ich erinnere mich, wie mein Körper meine Absicht für paar Sekunden verraten hat… Ich hatte vor, die Hände zu schütteln oder wenn es angemessen war, die Person zu umarmen. Aber mein Körper bewegte sich bei der Begrüßung einer neuen Person wie automatisch, in einem Impuls, zu küssen. Ich erinnere mich an zahlreiche Erfahrungen wie diese. Immerhin diese war die Begrüßung, die ich kannte. Es hat gedauert, die neue Form der Begrüßung zu lernen. Ich glaube, dass ich diese neue Form in mir integriert habe. Somit sind meine Küsse weniger automatisch geworden und waren nur eine andere Art und Weise zu sagen, „schön dich kennenzulernen“.  

Ich kann nicht sagen, dass ich schon daran gewöhnt bin, die Hand auszustrecken und die andere Hand zu schütteln. Manchmal ist das zu formell für mich. Vor allem wenn ich die Freunde meiner Freunde kennenlerne. Jedoch das ist nur eine andere Art der Begrüßung. Ich habe gelernt, dass es Kulturen gibt, in denen Personen sich bei der Begrüßung überhaupt nicht berühren.

Nur wenn du die Annehmlichkeiten der Vertrautheit aufgibst, an „deinem Ort“ zu leben hinter dir lässt, kannst du dich für Neues öffnen und andere dazu einladen Neues kennenzulernen. Allerdings birgt das Neue auch Überraschungen sowie die Angst vor Neuem. Aber Neues bringt ebenso eine Einladung zur Begegnung mit den Unterschieden. Eine Begegnung, die eine Verbindung  ermöglicht. Mit der Zeit habe ich angefangen, mich weniger zurückgewiesen zu fühlen, weniger geformt zu sein und habe mich geöffnet für eine neue Art und Weise der Begrüßung. Es hat mich erstaunt, dass einige Personen damit begonnen haben, mich mit Küsschen zu begrüßen, was ich so nicht erwartet habe. Und ich habe gelernt, „Ahh! Jetzt küsst ihr, um hallo zu sagen!“